Stand-Up Kabarett vor 200 Jahren – Der Meddah
Stand-Up Kabarett vor 200 Jahren – Der Meddah
Eines der wichtigsten Sparten des traditionellen türkischen Theaters sind die Meddah Schauspiele – spontan vorgetragene Geschichten und Erzählungen inmitten der Zuschauer mit oftmals sozialkritischem Hintergrund. Entgegen einem Märchenerzähler thematisierten sie keine Fabelwesen oder Helden. Auch der Gebrauch von Instrumenten wie bei den Erzählungen von Volksepen war unzulässig. Meddah’s ahmten in ihren Geschichten auf eine komödiantische Art und Weise Menschen aus typischen Lebenssituationen nach. Sie gelten als Stand-Up Kabarettisten des 17.-20. Jahrhunderts.
Um ihre Figuren so authentisch wie möglich darzustellen, wendete der Meddah den Dialekt des jeweiligen Charakters an, bedienten sich aber gleichzeitig einer karikierten Darbietung des Individuums. Je nach Thema konnte die Rolle aus einer ethnischen Gruppierung, verschiedenen Altersgruppen und -typen, Tieren und sogar diversen Naturereignissen entstammen. Zu den wichtigsten Utensilien gehörten ein Stock und ein großes, über der Schulter hängendes Tuch.
Durch herzhaftes Stampfen mit dem Stock erlangte der Meddah die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer und begann sein Schauspiel häufig mit einem Zungenbrecher. Mit seinen Utensilien imitierte er während der Vorstellung verschiedene Werkzeuge oder Waffen. Je nach Zusammenhang konnte sein Stock eine Flinte oder ein Besen sein, während er mit seinem Tuch dem jeweiligen Charakter zugeschriebene Kleidungsstücke formte. Nachdem der Meddah die Moral seiner Geschichte offenbarte, beendete er standardmäßig das Schauspiel mit einem Verweis auf die Quelle, bat um Verzeihung und wies auf den nächsten Auftritt hin.
Die Verbreitung der Meddah-Geschichten sind bis auf Dorfebene nachvollziehbar, gelten aber, im Gegensatz zu den Volksgeschichten, dennoch als ein Teil der Stadtkultur. Sie wurden ursprünglich in der Umgebung von Palästen und Villen vorgetragen, erhielten aber zum Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt Zugang in städtische Kaffeehäuser. Ende des 17. Jahrhunderts schließlich wurden die Themen den städtischen Leben – insbesondere Istanbuls – angepasst und von Alltagssituation gesteuert. Der Einfluss des mittelständischen Bevölkerungsanteils wirkte sich ebenso auf den Sprachgebrauch der Meddah’s aus, die fortan nach “Volksmund” redeten.
Alte Meddah Geschichten aus den Anfängen konnten nicht überliefert werden. Man weiß allerdings aus enzyklopädischen Werken wie der “Schahname” des persischen Dichters Abū l-Qāsem-e Ferdausī, dass die Protagonisten aus religiösen und historischen Persönlichkeiten, wie z.B. der Prophet Ali, der Prophet Hamza oder Battal Gazi, ausgewählt wurden – die im 16. Jahrhundert von dem Dichter Yusuf-i geschriebene Liebesgeschichte um “Varka und Gülşah” bspw. wurde durch seine Person auch als Meddah-Erzählung vorgetragen.
Während einer im ebenfalls 16. Jahrhundert durch Sultan Murad III. verordneten Meddah-Erzählung, bat der Sultan den Dichter Cenani um neue Geschichten, welcher hierauf das Werk Bedayi Ül-Asar verfasste. In diesem Werk werden alltägliche Erlebnisse und Ereignisse der Bevölkerung beschrieben. Meddah-Geschichten dieser Art wurden im 17. Jahrhundert vermehrt in den Kaffeehäusern erzählt, zumal die Anzahl derer in Istanbul, Bursa, Erzurum und Maras häufiger anzutreffen waren. Die Nachfrage nach Meddah-Geschichten war während des heiligen Ramadan-Monats besonders groß.
Den Reiseberichten des osmanischen Schriftstellers Evliyâ Çelebi zufolge lebten im 16. und 17. Jahrhundert in Istanbul etwa 80 Meddah’s und in Bursa 75. Die anderen Städten wie Malatya waren mehrheitlich reisende Meddah’s tätig. Die Metropole Istanbul nahm insbesondere im 19. und 20. Jahrhunderts eine besondere Rolle ein – war sie doch als Brücke zwischen Orient und Okzident auch ein attraktives Ziel für Touristen.
Einige der berühmtesten Meddah Kaffeehäuser (im osmanischen auch als “Kıraathane” bezeichnet) Istanbuls waren folgende: die Dilkûşa im Stadtteil Aksaray, das Afitab Kaffehaus in Beyazıt, der Garten des “Ägypten” Restaurants, das Yüksek Kaffehaus im Dolmabahçe, das Reşadiye Kaffehaus in Fatih, das Kurbağalıdere Kaffehaus in Kadıköy Söğütlüçeşme, das Coli Efendi Theater in Samatya und das Hacı Selim Ağa Kaffehaus in Şehremini.
Der prominenteste Meddah des 20. Jahrhunderts war Aşki, dessen Geschichten um den “Jüdischen Orangenverkäufer”, “Surpik Dudu und Belalı Bıçkın”, “Die Schöne” und “Istanbul’s Wege sind golden” sogar auf Band aufgezeichnet wurden. Heute sind die traditionellen Meddah-Erzählungen auf offener Straße weitestgehend ausgestorben. Sie wurde von der UNESCO als Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit anerkannt.
Literatur
- Prof. Dr. Özdemir Nutku – Meddahlık ve Meddah hikayeleri, 1976