Orientalismus in der Photographie
Orientalismus in der Photographie
Nichts auf der Welt kann so schön sein wie der erste Anblick dieser moslemischen Hauptstadt. Die Schönheiten, je mehr man sich Istanbul annähert, übertreffen die wildesten Vorstellungen. Erst wenn man diese tollen Aussichten genossen hat versteht man die Aufregung einer östlichen Stadt.
Istanbul Fotografie
In dieser mehrteiligen Serie durchleuchten wir die historische Entwicklung der Fotografie in Istanbul – mit vielen historisch wertvollen Fotografien und diversen Hintergrundinformationen.
Aus der Serie
- Orientalismus in der Photographie
- Das historische Istanbul in der Photographie
- Genre- & Porträt-Fotografie
- Elbise-I Osmaniyye – Ein fotografisches Album über Osmanische Trachten
- Pioniere der Fotografie – Vassilaki Kargopoulo
- Pioniere der Fotografie – Abdullah Freres
- Pioniere der Fotografie – Pascal Sébah
- Pioniere der Fotografie – Bahaettin Rahmi Bediz
Edward Said hat mit dem Buch „Orientalismus“ eine Debatte losgetreten, die in der heutigen Forschung umstritten ist. Er behauptet, dass das Abendland schon seit jeher dazu tendiere, dem Orient ein ausdruckloses Gesicht zuzuschreiben und ein künstliches Konstrukt zu konzipieren. Durch die Zergliederung eines ‚mysteriösen Orients‘ und eins ‚aufgeklärten Okzidents‘, ziele man auf eine ideologische Beherrschung und politische Unterwerfung der studierten Völker, die bereits in der britischen und französischen Wissenschaft der Orientalistik verankert sei.
Kritik an der orientalistischen Position gab es bereits vor Saids Veröffentlichung. Gegen den französischen Schriftsteller und vermeintlichem Türkei-Liebhaber Pierre Loti, der in seinen Büchern oft eine unkritisch romantische Haltung einnahm, richtete 1925 Nazim Hikmet in seinem Gedicht „Sark – Garp“ (Orient – Okzident) folgende Worte:
Geheimnis! Gottvertrauen! Kismet! Holzgitter, Karawanserei, Karawane, Brunnenanlage! Silber, die auf Tabletts tanzende Sultanin! Maharadscha, Padischah, Schah von tausendundeinem Jahr. An den Minaretten hängen perlmuttbestickte Pantinen, und Frauen mit hennagefärbten Nasen besticken mit ihren Füssen einen Rahmen. Vorbeter mit grünen Bärten rufen durch den Wind zum Gebet! Das ist der Orient, wie ihn der französische Dichter sah! Das ist der Orient der Bücher, von denen pro Minute eine Million gedruckt werden! Doch es gab weder gestern, noch gibt es heute so einen Orient und es wird ihn auch morgen nicht geben!
Nazim Hikmet, „Sark – Garp“ (Orient – Okzident), 1925
Der Wunsch nach etwas Exotischem, Außergewöhnlichem, ‚Orientalischem‘ ist hierbei kein Neuer. Dass es eine Orientfaszination gab, die sogar bis ins 16. Jahrhundert zurückreichte, ist durch verschiedene Reiseberichte belegbar. Die Modeerscheinung ‚Turqueries‘, die das Türkische glorifizierte, kann man als eine Art Vorreiter des Orientalismus bezeichnen.
Orientalismus im osmanischen Reich
Mit den fortwährenden Zerfallserscheinungen des osmanischen Reiches, geriet der Orient in das politische Blickzentrum europäischer Mächte. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wich die reine Faszination eines von Europäern konstruierten, imaginären Gebildes den politischen und ökonomischen Motiven, die schließlich im Ägypten-Feldzug (1798-1801) Napoleons mündeten. Der daraufhin eingetretene Orient-Trend war gezeichnet von einem romantisierten Bild des Morgenlandes, der die Kultur der Ansässigen realitätsfern von ihrer vermeintlich abenteuerlichen, mystischen und erotischen Seite idealisierte. Sie diente als Zufluchtsort aus der eigenen, statischen Realität, die nur noch eine „Oase des Grauens in einer Wüste der Langeweile“ war.
Der intensive Orienttourismus von Abenteurern und finanzstarken Angehörigen der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert ist sicherlich nicht nur der Malerei, sondern auch Reiseberichten von Schriftstellern oder Forschern verschuldet, die mit ihren Darstellungen einer phantastischen und fremden Welt voller Exotik die Abenteuerlust reizten. Beispielhaft seien die Orienterzählungen Karl Mays oder die mystischen Geschichten von Archäologen auf ihrer Wiederentdeckungsreise der ägyptischen Kultur erwähnt. Sie erweckten das Interesse von Reisephotographen und Touristen, die damit eine einmalige Möglichkeit verbanden, in die Geheimnisse des Orients einzutauchen und sie mithilfe des Photoapparates festzuhalten.
Dass derart abstruse Vorstellungen häufig Enttäuschungen nach sich zogen illustrieren die zwei Nervenzusammenbrüche Karl Mays während seiner eineinhalbjährigen Orientreise. Dieses Phänomen wird in der neuen Forschung dem „Einbrechen einer grellen Realität in seine Traumwelt“ zugewiesen.
Orientalismus in der Photographie
Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken und das imaginäre Bild des Orients aufrecht zu erhalten, bedienten sich Orientphotographen klischeefördernder Motive und inszenierten teilweise fiktive Szenen. Dass die ansässige Bevölkerung, insbesondere der muslimische Anteil, einer gewissen Intimitätskultur unterlag und den Fremden gegenüber oftmals verschlossen reagierte, beschleunigte diese Entwicklung sicherlich. In den in professionellen Studios arrangierten Porträtbildern begegnet man daher häufig von ihrer Individualität losgelöste Orientalen, die, klassifiziert in ‚Typen‘ oder ‚Genre‘, verschiedenste Stereotypen mimten.
Literatur
- Edward W. Said – Orientalismus, 1981
- Suraiya Faroqhi – Kultur und Alltag im Osmanischen Reich – Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, 1995
- Hendrikje Kilian & Vera Trost – Historische Fotografien aus Istanbul, 2001