Genre- & Porträt-Fotografie

Genre- & Porträt-Fotografie

Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die Porträtphotographie rasant und etablierte sich als eine der wichtigsten Disziplinen im Portfolio der Studios. Das Ziel der Porträtphotographen war nicht das objektive und nüchterne Erfassen eines menschlichen Gebildes, sondern vielmehr die subjektive Charakterisierung des Modells.


So konnte der Photograph verschiedene Merkmale in den Vordergrund stellen und andere wiederum ausblenden. Unter diesem Aspekt lassen sich zwei Hauptströme der Porträtphotographie herauskristallisieren. Erstere war das tatsächlich vorhandene Motiv, das die besonderen Spezifikationen des Posierenden erfasste und entsprechend seiner individuellen Identität idealisiert wiedergab. Dies könnten einzelne Vertreter ausgewählter Berufsstände oder hoher Ämter sein, die, einem bestimmten Zweck nachgehend, das Porträtieren der eigenen Person oder eines Angehörigen seines Umfeldes in Auftrag gab.

Diese Bilder galten dementsprechend als Dokumente. Das zweite Motiv war der subjektiv Wahrgenommene, das die Identität eines Kollektivs adäquat zu den Vorstellungen des Photographen oder einer bestimmten Zielgruppe formte. Die Beurteilung erfolgte durch eine verallgemeinernde Klassifizierung wie dem Geschlecht, der Religion oder der Herkunft.

Istanbul Fotografie

In dieser mehrteiligen Serie durchleuchten wir die historische Entwicklung der Fotografie in Istanbul – mit vielen historisch wertvollen Fotografien und diversen Hintergrundinformationen.

Typen & Genren

Durch die groben Kompositionen verlor die Photographie den Anspruch die vermeintliche Realität zu repräsentieren. Für Reisephotographen waren Aufnahmen von Einheimischen jedoch weiterhin ein schwieriges Unterfangen, kooperierten sie doch nur selten mit Fremden.

Durch die auftretenden Studios wurden die Bewohner auf den Bildern zu austauschbaren Objekten entfremdet und mit verschiedenen Requisiten nachträglich inszeniert. Dafür engagierte man bereitwillige Einwohner oder, wie im Falle der vermeintlichen Haremsdamen, bezahlte Prostituierte oder Angehörige der christlichen Minderheiten. Den Höhepunkt erreichte man schließlich als die zu ‚Typen‘ oder ‚Genren‘ degradierten Orientalen durch Touristen ersetzt wurden, die vor allem nur noch sich selber sehen wollten.

Um die große Nachfrage zu stillen eigneten sich Studiophotographen eine Vielzahl von typisierten und traditionellen Trachten an, die den etwaigen Vorstellungen der Touristen entsprachen, füllten sie wahlweise mit Besuchern aus dem Ausland oder Mitgliedern der jeweiligen Berufsstände und legten sich somit einen vollständigen Genre-Katalog aus Porträtphotographien zu. Eine solche Serie beinhaltete häufig die verschiedensten Typen aus einfachen Gesellschaftsschichten und –gattungen: Handwerker und Händler, Krieger oder Angehörige einer religiösen Gruppierung. Besonders Letztere schien sich durch ihr ungewöhnliches Auftreten von der Masse abzuheben.

Religiöse Motive

In diesem Kontext stachen insbesondere die ‚Mevlevi‘-Derwische hervor, die überwiegend durch ihre sonderbare Kleidung und ihre mystische Lebensart für Aufsehen sorgten.Derwische trugen oftmals hohe Filskappen (‚Sikke-i Serif‘), ein langes, weites Gewand (‚Ferace‘) und einen spezifischen Rock (‚Tennure‘). Gern inszenierten Photographen in ihren Bildern die ‚tanzenden‘ oder ‚drehenden‘ Derwische, indem sie deren Bewegungen nachahmten. Die ‚drehenden‘ Derwische bewegten sich permanent in kreisenden Bewegungen wie in Trance um die eigene Achse. In den Kompositionen war oftmals als Utensil das sogenannte ‚Ney‘-Instrument enthalten, eine Längsflöte, die in der türkischen, persischen und arabischen Musik verwendet wurde.

Andere religiöse Geistliche, die ebenfalls durch ihr Erscheinungsbild hervortraten, waren die ‚Mollas‘ (oder ‚Mullahs‘) und die Anhänger des ‚Bektasi‘-Ordens. Sie waren, ähnlich wie die ‚Mevlevi’s‘, bekleidet mit einem weiten Gewand und einer Turban-ähnlichen Kopfbedeckung, dessen Tragen für Nichtmitglieder verboten war. Zusätzlich trugen sie einen sternförmigen Stein um den Hals (‚Teslim Tasi‘), welches mit einem Ohrring verbunden wurde. Ein weiteres, verpflichtendes Accessoire war das ‚Nefir‘-Horn, das am Gürtel angebracht wurde.

Der Harem und die Frauen

Eine besondere Stellung nahmen die Frauen für die Arrangements der Photographen ein. Sie hatten „bei der Herausbildung westlicher Phantasien vom Harem“ eine entscheidende Rolle gespielt und den Orient somit sexualisiert. Sicherlich trug der Sklaven- und Frauenmarkt, der zwar seit 1856 offiziell verboten war, jedoch nicht komplett abgeschafft werden konnte, ihren Anteil dazu bei.

In regelmäßigen Abständen konnten Wohlhabende und Palastangehörige für ihre ‚Selamliks‘, dem Teil einer Wohnung, in der sich hauptsächlich Männer aufhielten, Diener oder Arbeiter erkaufen und für die Harems sogenannte ‚Cariyes‘ (weibliche Dienerinnen) oder Haushälterin aussuchen. Der Harem eines Hauses war im klassischen Sinne für den kompletten Haushalt zuständig, übte allerdings aufgrund ihrer Intimität – in der muslimischen Welt war die Welt der Familie nicht öffentlich – einen enormen Reiz aus. Fremde hatten, unabhängig ob es Einheimische oder Ausländische waren, keinen Zutritt in den Wohnbereich der Familie.

Generell nahmen Frauen nur wenig am gesellschaftlichen Leben teil und verließen ansonsten nur mit einem Schleier die Wohnung. Insbesondere bei wohlhabenden muslimischen Familien war man sich bewusst, dass die oberen Etagen das Quartier der Haremsdamen bildeten und somit dem Neugierigen auch ein flüchtiger Blick verwehrt blieb. Dies verleitete den unbedarften Europäer sich einer Schwärmerei von Schönheiten in seidig transparenten Gewändern hinzugeben, die nicht selten in erotische Phantastereien ausartete.

Man darf allerdings vermuten, dass die Reisenden sich der Intimität der Orientalen bewusst waren und wissentlich sich dem imaginären Bild haben hinreißen lassen. Der Illusion entsprechend griffen Photographen auf bezahlte Modelle zurück und inszenierten Bilder aus den Wunschvorstellungen männlicher Phantasien. Oft handelte es sich entweder um Mädchen und Frauen aus ärmeren Verhältnissen, Prostituierte oder aber um Europäerinnen in entsprechender Kleidung. Manche Photographen griffen sogar nach erfolgloser Suche auf männliche Modelle zurück. Sie stellten die damals gängigen Stereotypen und Klischees von Haremsdamen, dekadenten Odalisken oder Lesbierinnen dar. Aus der Realität des Orients gibt es mit Ausnahme der Inszenierungen der Frauen die engagiert und bezahlt wurden, nur wenige Bilder von Frauen; von Männern, Armen und Reichen dagegen viele.

Die Erklärung des aus Algerien stammenden französischen Philosophen Malek Alloula, dass die verhüllte Frau aufgrund ihrer Verschleierung einen unsichtbaren Widerstand auf den scheinbar alles durchdringenden und kolonisierenden Blick des Auslösers ausübe, trifft zumindest auf europäische Photographen zu. Die verschleierte Frau nimmt selbst die Rolle der Betrachterin ein, die nicht gesehen werden kann und weiterhin unbekannt bleibt:

Für den Photografen stellen die verschleierten Frauen nicht nur ein peinliches Rätsel dar, sondern auch einen Angriff auf seine Autorität. […] gebündelt durch den kleinen Sehschlitz, entspricht dieser weibliche Blick in gewisser Weise der Linse des Photoapparates, die auf die ganze Welt zielt. Der Photograf weiß dies sehr genau; er kennt diesen Blick gut; er ähnelt seinem eigenen Blick. Der Präsenz der verschleierten Frau ausgesetzt, fühlt sich der Photograf selbst photographiert, er selbst wird zu einem Objekt des Blicks.
zit. nach von Braun, in: Malek Alloula „Verschleierte Wirklichkeit“

Unter den Verlegern, die entsprechend der westlichen Phantasien besonderen Wert auf die vermeintlich reellen Aufnahmen von entschleierten Frauen legten, waren auch einige weibliche Photographen, die tatsächlich Zugang zu den Frauengemächern erhielten. Die Photographien von orientalischen Frauen in Hauskleidung fanden allerdings kaum Absatz unter dem Publikum.

Die Bilder der Engländerin Grace Ellis aus dem Inneren eines türkischen Harems bspw. wurden von einer britischen Zeitung als zu unrealistisch abgelehnt.

Literatur

  • Bahattin Öztuncay – The Photographers of Constantinople – Pioneers, studios and artists from 19th century, 2003

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