Elbise-i Osmaniyye – Ein fotografisches Album über osmanische Trachten
Elbise-i Osmaniyye – Ein fotografisches Album über osmanische Trachten
Wenige Jahre nach den ‚Tanzimat‘ Reformen versuchten Intellektuelle des osmanischen Reiches die visuelle Macht der Photographie auszuschöpfen, indem sie das verallgemeinernde Element typischer Kleidung betonten. 1873 ließ hierzu die osmanische Oberschicht für die Weltmesse in Wien ein photographisches Album von traditionellen osmanischen Trachten mit dem Titel „Elbise-i Osmaniyye / Les Costumes populaires de la Turquie“ anfertigen.
Das Ziel war es, eine detaillierte Dokumentation der osmanischen Kostüme zu präsentieren und durch geographische, ethnische, soziale, religiöse und berufliche Unterscheidung einen ethnographischen Überblick zu verschaffen. Es war sicherlich kein Zufall, dass die damals wichtigsten osmanischen Vertreter des Orientalismus, der Maler Osman Hamdi Bey und der Photograph Pascal Sébah, involviert waren. Osman Hamdi Bey wurde gemeinsam mit dem französischen Künstler Victor Marie de Launay mit der Administration betraut, während Pascal Sébah mit der Erstellung des Albums beauftragt wurde. Insgesamt beinhaltete die Ausstellung 74 Bildtafeln, die in drei verschiedene Sektionen (europäisches Territorium, ägäische/mediterrane Inseln und asiatische/afrikanische Territorien) unterteilt wurden, welche man wiederum in 22 Einheiten gemäß provinzialer Aufteilung des Imperiums gliederte. Jedes Bild enthielt außerdem Basisinformationen über die Figuren, der Historie des Gebietes und der Geographie.
Istanbul Fotografie
In dieser mehrteiligen Serie durchleuchten wir die historische Entwicklung der Fotografie in Istanbul – mit vielen historisch wertvollen Fotografien und diversen Hintergrundinformationen.
Kleider und KostümeIm Hinblick auf die Kleidungsgewohnheiten der osmanischen Bevölkerung im 19. Jahrhundert war die Kollektion äußerst aufschlussreich. Sie gab einerseits eine dokumentarische Auskunft über die „exotische“ Garderobe der Ansässigen und bestärkte somit die klischeehaften Tendenzen. Andererseits lenkte sie durch Detailnähe und der teilweise unkonventionellen Kompositionen die Aufmerksamkeit der europäischen Zielgruppe in eine neue Richtung, die sich vor allem durch eine realistische und objektive Repräsentation kennzeichnete. Es ist denkbar, dass die Intention Osman Hamdi Bey’s und Marie de Launay‘s darin lag, westliche Sichtweisen auf den Orient selektiv zu manipulieren.
Die Besonderheit der ‚Elbise-i Osmaniyye‘ war die Unterteilung in ‚Kleidern‘ und ‚Kostümen‘. Erstere kennzeichnete die moderne und teilweise formelle Garderobe, die permanent dem aktuellen Modegeschmack und dem wandelnden Stil unterworfen war. Letztere repräsentierte die unveränderbaren, lokalen Kleidungstraditionen. Die Modelle wurden häufig in Zweier- oder Dreiergruppen nach einem oder zwei gemeinsamen Attributen, ungeachtet ihrer sozialen Schicht, positioniert. Das bindende Glied konnte die ethnische Herkunft, die religiöse Zugehörigkeit oder der identische Berufszweig sein. Selten wurden ‚Typen‘ nach orientalischem Muster aneinander gereiht. Vielmehr wurden neue ‚Osmanische Typen‘ erschaffen und den Vorstellungen der Urheber entsprechend klassifiziert.
‚Typen‘ & Konstellationen
So wurden beispielsweise in einem Bild ein armenischer Priester, ein griechischer Priester und ein muslimischer Prediger abgebildet, deren Verbindung in ihrer Aufgabe der geistlichen Leitung des Monotheismus als singuläre Form und ihrer gemeinsamen Herkunft aus der innenanatolischen Stadt Konya lag. In einer anderen Konstellation platzierte man eine armenische Braut, eine jüdische Frau und ein griechisches Mädchen in ihren typischen Kostümen. Dieses Bild sollte die kulturelle Vielfalt Istanbuls betonen. Ein drittes Bild wiederum zeigt ausschließlich Einheimische der Stadt Edirne auf, die nach ‚muslimisch‘, ‚muslimischer Reiter‘ und ‚christlich‘ kategorisiert wurden. Auffällig hierbei sind die minimalen Unterschiede in den Kleidungsgewohnheiten, die ausschließlich in Details abwichen. So trugen alle drei Figuren einen ‚Fes‘, einen ‚Salvar‘ (eine lange, orientalische Kniebundhose) und einen Stoffgürtel.
Eine weitere Komposition scheint scheint einer eher aufklärerischen Intention nachzugehen. Das Motiv wurde in der ‚Elbise-i Osmaniyye‘ unter der Rubrik ‚Istanbul‘ präsentiert. Die mittlere Figur stellt einen Schüler dar und soll den Fortschritt im Schulsystem vermitteln. Entgegen den Vorstellungen der westlichen Welt, dass die Bildung nicht reichlich gefördert würde und die Analphabetenquote zu hoch sei, zielt dieses Bild auf die Widerlegung dieses Vorurteils ab. Außerdem veranschaulicht die Photographie die typische Garderobe einer türkisch-muslimischen Frau innerhalb der Wohnung und außerhalb ihres Domizils. Im Bereich ihres Quartiers schminkte sie sich aufwändig, richtete sich das Haar und trug ihre schönsten Kleider, die sie sich aus eleganten Stoffen schneidern ließ. Außerhalb war sie bis auf einen Sehschlitz weitestgehend verhüllt. Es sei jedoch betont, dass auch der Schleier aus erlesenen Materialien angefertigt wurde.
Trotz der teilweise gravierende Unterschiede zwischen der Imagination und der Wirklichkeit der weiblichen Welt im Spiegel der Photographie, war das Frauen- und Orientbild in den Vorstellungen vieler Europäer so gefestigt, dass auch die ‚Elbise-i Osmaniyye‘ nur wenig an diesem Bild rütteln konnte wie die späten ‚Harems-Bilder‘, insbesondere aus dem Nahen Osten und Nordafrika, bewiesen.
In dieser Form wurden sämtliche Regionen des Osmanischen Reiches durchexerziert und verschiedene Gruppierungen, Situationen und Verhältnisse nachgeahmt. Jede Tafel ging einer spezifischen Intention nach, dessen groß angelegtes Ziel die Suggestion einer gesellschaftlichen Homogenität, trotz oder besonders wegen ihrer Verschiedenheit, darbot.
Literatur
- Üyepazarci, Erol – 1873 yilinda Türkiye’de halk giysilier – ELbise-i Osmaniyye, Istanbul 1999
- Faroqhi, Suraiya & Neumann, Christoph K. – Ottoman Costumes : From Textile to Identity, Istanbul 2004