Das Kopftuch – Ein Symbol der Kreativität
Das Kopftuch – Ein Symbol der Kreativität
In der aktuellen Integrationsdebatte gehört das Kopftuch zweifelsohne zu den Themen, die medial und politisch am meisten ausgeschlachtet werden. Doch wo viele im Kopftuch ein Werkzeug der Unterdrückung sehen, haben einige der vermeintlich versklavten muslimischen Frauen eine Nische gefunden, aus Ihrer “Andersartigkeit” zu profitieren und Chancen wirtschaftlich, wie kreativ zu verwerten.
Das Kopftuch wird nicht mehr “einfach so” über den Kopf geworfen und umgebunden – modische Accessoires verzieren die raffinierten Schleifen des hochgesteckten oder nach hinten gebunden Seidentuchs. Viele große Modefirmen wie Vakko, Pierre Cardin oder die Trendsetter in Sachen islamischer Mode Tekbirgiyim, Armine sowie Sarar haben diese Nische bereits für sich entdeckt und gewissermaßen eine islamische “Haute Couture” erschaffen, die dem westlichen Modell in Nichts nachsteht. Ob professionelle Fotoshootings, Modenschauen auf Catwalks oder Lifestyle-Magazine – die muslimische Frau von heute verrichtet das Mittagsgebet, kurz bevor sie ihre Kleidung für den nächsten Arbeitstag abstimmt.
Neben den großen Modelabels haben sich vor allem Klein- und Einzelunternehmen sowie selbstständige junge Frauen auf modisch-islamische Outfits spezialisiert. Frauen, die hauptberuflich als Friseur oder Schneider arbeiten, verkaufen Ihre selbstgenähten Bone’s und Kopftuchmodelle oder binden sie zu besonderen Anlässen, wie etwa Hochzeiten, Verlobungen oder sonstigen feierlichen Anlässen. Dabei sind den kreativen Ideen keine Grenzen gesetzt – passend zum jeweiligen Abendkleid werden elegante, schrille oder sportliche Designs entworfen, mit speziellen Accessoires bestückt und stundenlang an modischen Feinheiten gearbeitet, bis es perfekt sitzt. Das Kopftuch ist auch im Alltag nicht mehr “langweilig” und “klassisch” sondern “exklusiv” und “mondän”.
Wie groß die Nachfrage ist, lässt sich an der medialen Präsenz der Kopftuchmode erahnen. Im Zeitalter des Internets schöpfen junge Designerinnen alle möglichen Kanäle aus, um ihre Modelle überregional zu transportieren, zu verkaufen oder einfach zu präsentieren. Ob sogenannte Hijab-Shops, die ganze Kollektionen vertreiben, Youtube-Videos, die mit Tips und Tricks zum Nachstylen animieren, Facebook Profile, in denen eigene Kreationen vorgeführt werden oder Internet- und Printmagazine, die den modisch-muslimischen Lifestyle der Kopftuchträgerinnen offerieren. Sogar internationale Wettbewerbe werden organisiert und durchgeführt – der Markt boomt wie nie zuvor.
Noch deutlicher werden die Ausmaße, blickt man über die Grenzen Deutschlands hinaus. In Großbritannien hat die Polizeiführung, passend zur Uniform, vier verschiedene Kopftuchmodelle entwerfen lassen, um muslimische Polizistinnen anzuwerben. Ebenso das skandinavische Möbelhaus Ikea, welches mittlerweile auch Niederlassungen im Nahen Osten eröffnet hat. Das niederländische Justizministerium hat für muslimische Gefängniswärterinnen dehnbare Kopftücher anfertigen lassen, um dessen Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewähren. Inspiriert von der Öffnung des australischen Rettungsschwimmwesens für Muslime, hat die libanesisch-australische Designerin Aheda Zanetti unter dem Namen “Burkini” – in Anlehnung an Burka und Bikini – islamisch-konforme Schwimmbekleidung entworfen, die in der Türkei als Haşema und den USA als Splashgear an Popularität gewonnen hat. Ein ganz neues Konzept verfolgt das in Deutschland ansässige Unternehmen “Hazir Turban”, das patentierte Kopftuch-Mützen in verschiedenen Ausführungen entwickelt hat.
Die neue Generation der Kopftuchträgerinnen ist dynamisch und kreativ. Sie hat einen völlig neuen Markt etabliert, der ihr lange Zeit verwehrt wurde. Bezeichnenderweise wenden sich viele Musliminnen dennoch verstärkt dem Islam zu, ohne jedoch ihren Faible für Mode aufzugeben. Mit dem neuen Selbstbewusstsein der muslimischen Kopftuchträgerinnen hat sich ein natürliches Modebewusstsein entwickelt, die sich dem allgemeinen Schönheitsideal angepasst hat. Das Kopftuch ist schon längst nicht mehr ausschließlich ein religiöses Symbol. Für die vermeintlich Betroffenen war es schon seit jeher, neben der Glaubensbekenntnis, ein Teil Ihrer Persönlichkeit – und bekanntlich stiftet Mode Identität.
Literatur
- Saliha Kubilay – Vorsicht Kopftuch! Von der unscheinbaren Muslimin zum „Eye-Catcher“, in: Werner Köster (Hg.) – Parallelgesellschaften : Diskursanalysen zur Dramatisierung von Migration ; Beiträge studentischen Forschens, 2009
- Marwa Hamed – Moderne Kopftuchmode, 2010
Hallo Emine, vielen Dank für deine konstruktive Kritik. Prinzipiell gebe ich dir Recht. Das Thema ist allerdings so umfassend, dass ich nur diesen spezifischen Teilaspekt (ich hoffe mit der nötigen Distanz) thematisieren wollte. Wenn du mehr zum Thema lesen möchtest, empfehle ich dir die in der Literaturliste erwähnte Abhandlung von Frau Saliha Kubilay, in der das Thema weitaus präziser bearbeitet wird.
Insgesamt ein sehr gelungener Artikel. Allerdings empfand ich ihn in mancherlei Hinsicht etwas unpräzise. Sicherlich ist der Kopftuch ein Identitätsmerkmal und wird heutzutage modisch abgestimmt, doch in erster Linie ist er für mich und viele Kopftuchträgerinnen ein Glaubensbekenntnis und nicht etwa ein Accessoire, um sich hervorzuheben. Ganz sicher war das von Ihnen nicht so beabsichtigt, doch hatte ich das Gefühl, dass der theologische Aspekt etwas zu kurz kommt.